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Orakeldienst: viel Tuch, viel Sommer

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Den Menschen, heißt es ob ihrer Ohnmacht angesichts zunehmender Katastrophen, sei der natürliche Instinkt verkümmert. Sei die Verbindung zur Natur im Gesamten abhanden gekommen. Und sicher mangelt es den meisten vor lauter Entwicklung angeblicher Individualität am Wissen, dass wir Teil eines Größeren sind. Das zu erkennen scheint nur noch wenigen gegeben. Wenn um den Menschen herum Ratten das sinkende Schiff verlassen, Klein- und Großvieh das Weite sucht, bleibt er meist dümmlich konstatierend und mit gezückter Handykamera stehen, filmt und twittert noch mit letzter Kraft und wird sodann von eben jener Gefahr hinweggespült, vor der die Tiere garantiert Reißaus genommen haben.

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Aber diesen Instinktverfall belegen nicht allein Katastrophen. Auch überaus weltliche Phänomene wie etwa die zunehmende Abwesenheit von Schuhen bei gleichzeitigem überproportionalen Auftauchen von Stiefeln könnten als warnender Hinweis auf Klimaverschiebungen verstanden werden. So steigt zwar seit mindestens drei Jahren meine Not, überhaupt noch Verstaumöglichkeiten für die vielen Modelle zu finden, die sich inzwischen angesammelt haben. Und auf den Straßen ist unverkennbar, dass ich damit nicht allein bin. Seit mindestens 2 Jahren heißt die Uniform: Shirt über Röhre in Stiefeln. Wahlweise und slightly femininer: Hängerkleid oder Rock, Legging, Stiefel. Und trotzdem hat angesicht von derart vielen Winter- sowie seit 2 Jahren noch Sommerstiefeln niemand geschaltet und daraus den Schluss gezogen, rechtzeitig größere Depots an Streusalz anzulegen. Dass wir die Stiefel nämlich einmal brauchen würden, um modisch durch ungewöhnlich lange Winter zu kommen, hätte uns auffallen können. Wenn, ja, wenn wir nicht so schrecklich entfremdet wären.

Ich werde meine Sinne ab sofort nachhaltig sensibilisieren und mich in der Kunst üben, derartige modische Auffälligkeiten zu decodieren. Sie mit weise anmutender Voraussicht gesamtgesellschaftlich zu interpretieren und in entsprechende Frühwarnungen münden zu lassen. Diesen Sommer zum Beispiel überziehen alarmierend viele Tücher und Schals die Konsumwelten. Wohin man schaut, kopieren Modeschöpfer wie wild Hermès und werfen Lastwagenladungen voller Schals und Tücher auf den Markt. Und so wage ich die Prognose: Der Sommer wird Jahrhundert-heiß. Kauft Tücher, Sonnencremes, Brillen, Handfächer und schattige Plätzchen. Ich sehe derweil zu, dass ich noch ein Büdchen mit Laufkundschaft zur Miete auftreibe, einen talentierten Italiener reinstelle und endlich reich mit Eis werde.

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